Anleitung, die Deutschen zu lieben

Wenn alles anfängt

0
© il Deutsch-Italia
© il Deutsch-Italia

Außenminister Hans-Dietrich Genscher stellte fest, Deutschland würde wieder das Herz Europas kontrollieren. Also müßten die Deutschen mit gutem Beispiel vorangehen und eine neue internationale Ordnung errichten.

Es ist die Antwort auf das Fragezeichen von Le Point. Die Geo­graphie sei in den internationalen Beziehungen die einzige Konstante, hatte Bismarck gesagt, und mit dem Wegfall der Blöcke ist Deutschland zum Scharnier zwischen Ost und West geworden. Die Amerikaner wollen es darauf beschränken, die Rolle des Vorpostens am Rande der Welt der Unordnung und Armut zu spielen. Wie soll es, wenn ein Gleichgewicht nicht möglich ist, das Zünglein an der Waage zwischen Ost und West sein, so wie Genscher es wollte, der sich zurückgezogen hat, weniger aus gesundheitlichen Gründen, sondern weil seine Partie zu Ende war.

Ein alter Traum: Der Osten öffnet sich wieder weit, verwandelt in eine Handelskolonie bis hin zum Ural. Wird eine Achse Bonn (oder Berlin) – Moskau – Österreich – Japan gegen den neuen Pol Paris- London errichtet, und versinkt Amerika wieder in seinem Isolatio­nismus? Es scheint der Traum eines Paranoikers zu sein. Aber in der Vergangenheit hatten auch die Paranoiker ihr Gefolge.

Der Ungar Läszlö Land vom Budapester European Research Center erklärt, Ungarn sei deutscher Einflußbereich. Wer solle dort investieren? Etwa die Japaner? Die versuchen es schon auch, aber sie haben dieselben Schwierigkeiten wie die anderen Europäer. Dank der geographischen Nähe, der guten sprachlichen Verständigung, der alten Beziehungen stehen die Manager der Bundesrepublik, auch die aus Ostdeutschland, in allen mitteleuropäischen Ländern bei Jointventures mit großem Abstand an erster Stelle. Die »roten« Funk­tionäre wurden von westlichen Industrieunternehmen eingestellt, denn sie wissen, wie sie mit ihren Partnern aus früheren Zeiten verhandeln müssen, die ja noch nicht so lange zurückliegen, ohne sie mit »typisch kapitalistischer Anmaßung« in Verlegenheit zu bringen. Träumer seien die, die träumen, Mitteleuropa sei ein Traum, schreibt Gün­ther Nenning in Profil.

In den Casinos von Warschau oder Prag wird mit Deutscher Mark gespielt, und Walesa plant, Danzig in eine Art Las Vegas der Ostsee zu verwandeln, aber »die Invasoren sind nicht immun gegen Ansteckung«. Osteuropa ist Opfer eines hemmungslosen Nationalismus, und die Infektion breitet sich im nahen Deutschland aus. Nicht zufällig ist Hitlers Mein Kampf in Warschau trotz Verbots der Bestseller der Saison.

Der Zusammenbruch des Ostblocks bringt »alte Sünden« ans Licht, die in diesem halben Jahrhundert diplomatisch vergessen wurden.

Die Züricher Weltwoche findet die Vorstellung eines deutschen Mitteleuropa mit dem Beistand Österreichs, das den Zauber des mächtigen Nachbarn wiederentdeckt, bedrohlich. Jörg Haider, der CTUtaussehende junge Chef der FPÖ der liberalen Partei, geht derweil mit den Slogans aus Mein Kampf auf Stimmenfang und träumt davon, wieder eine deutsche Nation von der Memel bis an die Etsch zu erschaffen.

Die Germanisierung Mitteleuropas, meinen die Schweizer, sei nicht zu vermeiden, und man könne nicht viel tun, um sie zu verhindern. Hat der Tscheche Kafka etwa nicht deutsch geschrieben? Mit dem Fall der Mauer steht das Mitteleuropa, das wir vergessen hatten, wieder vor unserer Tür: Auf der Autobahn (sie wird gebaut werden, und zwar von den Deutschen) braucht man von Nürnberg nach Prag dann etwas mehr als eine Stunde, und Warschau und Moskau sollen durch den 250 km/h schnellen ICE mit Frankfurt verbunden werden.

Aber Mitteleuropa deckt sich nicht mehr mit unserem Traum, es ist mehr ein Ort des Geistes als der Landkarte. 1988 – so fern, so nah – zeigten mir Regimekritiker in Prag eine Landkarte, auf der anstelle der Städte die Namen jener eingezeichnet waren, die dort geboren sind, Billy Wilder und Ernst Lubitsch, Franz Kafka, Elias Canetti, Gustav Mahler … und Dutzende andere, die ausgewandert sind oder in den Gaskammern getötet wurden. Mitteleuropa bestand aus einer zum großen Teil jüdischen Intelligenz, die einfach weggefegt wurde. Heute gibt es nur eine Schicht, die möglichst schnell mit DM reich werden will.

Deutschland sei wieder das Land der Mitte geworden, schwärmt Die Welt. Auf der einen Seite gebe es 400 Millionen Menschen, die gar nichts hätten, und 150 Millionen schlechtbezahlte Arbeiter. Sie würden die Krise von heute darstellen, aber auch die Partner und Märkte von morgen. Man müsse nicht um jeden Preis die europäische Einigung anstreben, sondern versuchen, in den nächsten Jahrzehnten eine Freihandelszone bis zum Pazifik zu schaffen.

Print Friendly, PDF & Email
jav xxx
tube
mm

Frohe Ostern 2020

Vorheriger Artikel

Auferstehung 2020

Nächster Artikel

Kommentare

Einen Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert