Anleitung, die Deutschen zu lieben

Anleitung, die Deutschen zu lieben

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Der Maler Werner Tübke, der Guttuso der DDR, wurde mit der Aufgabe betraut, ein Fresko à la Sixtinische Kapelle (auch wenn die Technik, Öl auf Leinwand, eine andere ist), mit fast 1500 qm das größte der Welt, auf dem Hügel zu malen, auf dem die letzte verzweifelte Schlacht der »Proletarier« gegen die Herren stattgefunden hatte, dem Kyffhäuser, nicht weit von der Stelle, an der sich das fin­stere Denkmal für Barbarossa erhebt, ebenfalls ein Heiligtum der deutschen Geschichte.

»Honecker hat mir freie Hand gelassen«, erzählte er mir in seiner Leipziger Villa, wo er in den Monaten der sogenannten friedlichen Revolution möglichst unsichtbar zu bleiben versuchte. »Ich habe alles allein gemacht, weil ich keine Mitarbeiter gefunden habe, die mich zufriedengestellt hätten. Ob ich jetzt etwas ändern würde? Nicht einen Quadratmeter. Mein Werk ist dem Aufstand des Menschen gegen die Unterdrückung, der sozialen Gerechtigkeit gewidmet.«

In der Bundesrepublik war der Begriff der deutschen Nation jahrzehntelang aus jedem Gespräch verbannt. Das Volk fand seine Identität in der wirtschaftlichen Stärke, was weniger vulgär und banal ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Prosperierende Staatskonten, eine Inflation, die bis unter Null sank, ein Plus im Import-Export, das einen Rekord von 110 Milliarden DM erreichte und den Triumph des Made in Germany bekräftigte, waren der Beweis für die alten deutschen Tugenden Strebsamkeit, Fleiß, Sparsamkeit. Mercedes liefert manchen Kunden Modelle ohne Angabe der Motorleistung, die als disqualifizierende Prahlerei gelten würde: Was zählt, ist die tatsächliche Stärke, die im Inneren der Karosserie steckt.

In den Spiegelungen, die auf die Wiedervereinigung folgten (auch hier wieder Anklänge an Versailles), haben die Reichen aus dem Westen in den Städten des Ostens ein »märchenhaftes« Deutschland wiederentdeckt. Von den sozialistischen Planern im Stich gelassen, drohten die Städte zwar zu verfallen, waren aber nicht, wie in Hamburg oder Düsseldorf geschehen, von postmodernen Architekten verschandelt, und mit ihnen das Deutschland der Kindheit (es gibt einen Boom von Büchern über Reisen in Zeit und Raum, die den wiederentdeckten Regionen und noch immer verlorenen Gegenden wie Schlesien und Ostpommern gewidmet sind). Tugenden der Vergangenheit. Und im Osten mischt sich trotz des immer offensichtlicheren Hasses auf die Besserwessis in den Neid der Wunsch hinein, den kapitalistischen Tugenden des wirtschaftlichen Erfolges, dem Zynismus des Geldes nachzueifern.

Diese beiden unterschiedlichen »Nachkriegsnationen«, Ersatznationen, verhaspeln sich in einem neuen Nationalgefühl, das wenig mit dem klassischen zu tun hat, höchstens nach außen hin und auf trügerische Art und Weise. Und es wirkt sich auf alle europäischen Völker aus. Fritz Stern, Professor für Zeitgeschichte an der Columbia University, meint, Deutschland verlasse dieses Jahrhundert so, wie es hineingegangen sei: als große, beherrschende Macht im Zentrum des Kontinents. Nur müsse es jetzt seine Rolle besser spielen. Und Wolf Jobst Siedler meint, die kleine Bundesrepublik habe nun Chancen, die das mächtige Kaiserreich, zu dem halb Polen gehörte, und das Dritte Reich, das einige Jahre lang den Kontinent beherrscht habe, niemals gehabt habe. Der russische Gegenspieler sei gelähmt, das britische Imperium existiere nicht mehr…

Natürlich sieht die Wirklichkeit nach den triumphalen Prophezeiungen vom 3. Oktober 1990 anders aus. Wolfgang Herles schreibt in Geteilte Freude, die erste Republik sei gescheitert, dann sei das Dritte Reich gekommen. Die zweite Republik werde der Einheit geopfert, und das erste Jahr der dritten Republik mache skeptisch.

Die Deutschen fürchten, es nicht zu schaffen: Die Kosten der Wiedervereinigung übersteigen jedes pessimistische Kalkül. Zweihundert Milliarden DM jährlich. »Achtzig Millionen Deutsche, die in einer Welt ohne Geländer, wie sie sich abzuzeichnen beginnt, auf unseren Köpfen Spazierengehen, sollten niemanden in Sicherheit wiegen, auch ohne daß die Gespenster der Vergangenheit auf den Plan gerufen werden müßten«, schreibt Saverio Vertone in „Il ritorno della Germania“ (Deutschland kehrt zurück).

Jetzt darf nur nicht der Fehler gemacht werden, die Bundesrepublik des stattlichen Kohl Viertes Reich zu nennen, weil man am Ende mit etwas zu tun hätte (oder sich mit etwas auseinandersetzen müßte), das gar nicht existiert. Hitler verkündete, man solle ihn nicht lieben, sondern fürchten. Die Deutschen von heute sind wie ein riesiger Bernhardiner, der – um Aufmerksamkeit ringend – sich im Wohnzimmer unruhig bewegt.

Ein Titelblatt des Spiegels zeigt unter der Überschrift „Die unbeliebten Deutschen“ einen Turner in dreifarbigem Trikot (schwarz, rot, gold); mit ratloser Miene hält er die Welt im Arm. Wir halten die Welt aufrecht, und ihr seid böse auf uns? scheint er zu fragen.

Die Welt habe Angst vor den Deutschen, und die Deutschen hätten Angst vor der Welt, schreibt Die Zeit. In Le Monde stellt Daniel Vemet fest, die Deutschen seien unbeliebt. Was auch immer sie tun würden, gebe Anlaß zu Kritik, ob sie sich nun heraushielten wie im Golfkrieg oder sich einmischten wie in Jugoslawien. Ihre neue Macht verwirre die Deutschen. Deutschland dürfe sich nicht kleiner machen, als es ist. Es müsse seine Stärke akzeptieren, jedoch ohne sich schulmeisterlich zu gebärden.

Müssen wir befürchten, daß die Deutschen uns wieder lehren wollen, was gut und was schlecht ist, wie es ihre Gewohnheit war? In Wirklichkeit wissen sie es selbst nicht mehr. Und ihre Schuld ist, wie in den 30er Jahren, auch die Schwäche der anderen, im Westen wie im Osten. Die eigentliche Gefahr besteht nicht darin, daß die Deutschen. unlösbarer Forderungen müde, früher oder später fragen könnten: Wieviel kostet Königsberg? Schließlich ist es Kants Geburtsstadt. Die Gefahr liegt darin, daß ihnen jemand ein Preisangebot macht.

Im Augenblick gehen die 80 Millionen Deutschen nicht »auf unseren Köpfen« spazieren. Sie sitzen niedergeschlagen in ihren Reihenhäusern, mit Gartenzwergen vor der Haustür, die als einzige alle Stürme der Zeit überstanden haben, und Parabolantennen auf dem Dach. Sie gehen weder nach Osten noch nach Westen, kehren nicht in die Vergangenheit zurück und erfinden auch nicht die Zukunft. Sie drehen sich nur im Kreis. Hoffentlich wird ihnen dabei nicht schwindlig.

Ein Kürzel zuviel

Welche nationale Identität kann ein Land haben, das sich fast ein halbes Jahrhundert lang im Osten wie im Westen schamhaft hinter einem Kürzel versteckt hat? Drei Buchstaben, wie IBM oder KLM. Es stimmt, auch die Vereinigten Staaten werden aus Bequemlichkeit zu den USA, aber das sind sie dann auch für alle. Die deutsche Abkürzung ist vergänglicher, weniger stabil und sicher, und muß jeweils der Sprache des »Benutzers« angepaßt werden.

Westdeutschland wurde von den Ostdeutschen BRD für Bundesrepublik Deutschland genannt. Das andere, das »rote« Deutschland war für die Deutschen DDR (Deutsche Demokratische Republik), von der Springerpresse jahrzehntelang mit Gänsefüßchen gedruckt. Wer weiß, wie viele Tonnen Blei und welche Unsummen diese typographische Betonung eines Provisoriums, der sogenannten Sowjetischen Besatzungszone, das Verlagshaus gekostet hat.

Als ich (ich gehörte zu den ersten), zu einer Reise durch dieses zwischen »Mauer« und Gänsefüßchen eingesperrte Gebiet eingeladen wurde, schickten die Ostdeutschen, internationale Gepflogenheiten achtend, die Einladung an meine Redaktion in Mailand und nicht nach Hamburg, wo ich lebte. Mein damaliger Chef, der immer so tat, als habe er keine Ahnung von Geographie, und sich weigerte, ein Flugzeug zu besteigen, weil er Neapolitaner war, rief mich an: »Du bist eingeladen, aber was soll das? Du bist doch schon dort.« Ich gab mir große Mühe, ihn davon zu überzeugen, daß die DDR nicht die BRD war, aber die Einladung war auf Englisch, und was war denn nun GDR? Schließlich gab er mir recht, aber in seiner Stimme klang neapolitanischer Argwohn mit: Diese Kürzel waren eine Nebelwand, hinter der ich eine meiner Launen verbergen konnte, vielleicht wollte ich einfach Ferien machen, und vielleicht steckte gar eine Frau dahinter.

Fortsetzung folgt

 

Redaktionelle Bearbeitung: Silvano ZaisItalLingua

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