Der italienische Nachwuchs braucht viel länger, um flügge zu werden und das Nest zu verlassen. Die Deutschen werfen ihre einstigen Kinder mit achtzehn Jahren unsanft aus dem Haus. Sie sollen tunlichst allein zurechtkommen. Auch weil es in Deutschland trotz allem, trotz Krise und Wohnungsmangel, immer noch leichter ist, ein Dach über dem Kopf zu finden, eventuell auch in einer Wohngemeinschaft, und wenn man mit der Studienunterstützung zurechtkommt, dann läßt sich’s leben, auch wenn man keine großen Sprünge machen kann. Ein Italiener bleibt ein Kind, bis er vierzig ist, oder auch sein ganzes Leben lang. Ein Deutscher ist sofort entwöhnt.
Ich lese in den Zeitungen immer die Leserbriefe. Der Rat der Experten, die Meinung des Soziologen. Die Briefe verraten einiges. Die Frage eines geschiedenen Vaters hat mich getroffen. Mußte er seinem Sohn immer noch Unterhalt zahlen, obwohl dieser ein Stipendium erhielt? Es handelte sich um ein paar hundert Mark, eine Summe, die für den Leser an sich kein Problem war. Wie üblich ging es ums Prinzip, und der Experte nahm ihn ernst. In der Tat mußte er noch Unterhalt zahlen, der aber um eine gesetzlich festgelegte Quote gekürzt wurde, weil der Sohn teilweise selbständig war. Die Deutsche Mark ist stärker als Kinderliebe.
Eine Familie ist eine wenig ertragreiche finanzielle Investition. Ihr Schutz ist zwar einer der Fixpunkte im politischen Programm von Kanzler Kohls Christdemokraten, aber Paare mit Kindern werden letztendlich vom Fiskus strenger bestraft, trotz des Kindergeldes, das großzügiger ist als bei uns, trotz der Steuererleichterungen für Verheiratete mit Nachwuchs.
Ein Drittel der Paare hat die lächerliche Angewohnheit, sich gegenseitig mit Mutti und Vati anzureden, auch wenn sie schon über dreißig sind. Ein trügerischer häuslicher Frieden. 40 Prozent der Verheirateten denken an Scheidung, und mit Scheidung endet die Hälfte der Ehen in der Stadt, ein Drittel der Ehen auf dem Land. Nur 60 Prozent der Ehefrauen würden ihren Mann noch einmal heiraten, ähnlich viele sind ihm untreu (gegenüber 80 Prozent der Männer).
Lohnt es sich schon nicht zu heiraten, dann ist die Scheidung gar eine wirtschaftliche Katastrophe. Das Gesetz zwingt die Ehemänner, fast das gesamte Einkommen für den Unterhalt aufzuwenden. Ein extremer Fall ist Herr Fritz Nill, 87 Jahre alt und blind, der vor sieben Jahren eine dreizehn Jahre Jüngere geheiratet hatte: Jetzt muß er ihr jeden Monat 1100 DM überweisen, das ist die Hälfte seiner Invalidenrente.
Thomas Doli, Stürmer bei Lazio, der im Leben vorsichtiger als im Strafraum ist und im Jahr zwei Milliarden Lire, also ca. 2 Millionen DM, einnimmt, ließ sein Zukünftige, Denise, vor der Hochzeit einen regulären Ehevertrag unterschreiben, wie es auch Onassis und Jacky Kennedy gemacht haben. Ist die Liebe zu Ende, zahlt er ihr, bis die Tochter 18 Jahre alt ist, nur 4000 DM im Monat anstatt der Hälfte des Vermögens. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn eventuelle Muttis und Vatis es sich zweimal überlegen, bevor sie einen schicksalsschweren Schritt tun: 35 Prozent der Deutschen leben als Singles, in Italien sind es 19 Prozent.
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