Vereinigte Staaten von Deutschland

Die Wahlen in den einzelnen Ländern sind nicht nur auf Landesebene wichtig. Der Bundesrat setzt sich, proportional zu den lokalen Wahlergebnissen, aus Vertretern der Länder zusammen. Oft entspricht seine Mehrheit nicht der Mehrheit des Bundestages, des Parlaments; Regierungskoalition und Kanzler sind daher zu Besonnenheit und dauerndem Kontakt zur Opposition gezwungen, um Kompromißlösungen zu finden. Der Bundesrat hat tatsächlich die Macht, jegliches Bundesgesetz von regionaler Bedeutung zu blockieren, also praktisch alle vom Bau von Atomanlagen bis hin zu Sozial- und Schulreformen. Und jedes Land hat, heute in Bonn, morgen in Berlin, seine effiziente diplomatische Vertretung.

Nicht nur sind einige Gesetze verschieden, manche werden auch völlig unterschiedlich interpretiert. So sind die Behörden im katholischen Bayern in der Frage der Abtreibung unerbittlich, während im Norden die Regelung rein formell ist bzw. war, und in der ehemaligen DDR blieb für eine gewisse Übergangszeit das alte, extrem liberale Gesetz in Kraft. Die Bayern hätten die Frauen am liebsten verfolgt, die unter Umgehung der gesetzlichen Grundlagen nach Dresden gingen, um abtreiben zu lassen.

Sind die Länder also ziemlich unabhängig von der zentralen Regierung? Schon, aber ohne den Egoismus zu weit zu treiben, hier die Reichen, dort die Armen. Anders als in Italien ist der Süden reicher als der Norden, und nach der Wiedervereinigung liegen die ärmsten Gebiete im Osten. Doch es gibt eine Art »Ausgleichskasse«, zu der alle nach ihren Möglichkeiten beitragen und aus der sie ihren Bedürfnissen gemäß Mittel beziehen können. Die Art und Weise des Verfahrens begünstigte die »Armen« derart, daß es nach der Vereinigung vorläufig modifiziert werden mußte, sonst hätten die Länder der ehemaligen DDR die Fonds trockengelegt, so groß war die Diskrepanz zwischen ihnen und den kapitalistischen Bundesländern im Westen.

Die Solidarität ist nicht nur wirtschaftlicher Natur. In vorderster Linie im Kampf für die Wiedervereinigung stand die bayerische CSU ihren eigenen Landesinteressen entgegen. Mit der Ankunft von 17 Millionen »neuer« Deutscher wäre das Gewicht Bayerns natürlich proportional geschrumpft, was nicht nur für das Prestige Folgen gehabt hätte. Aufgrund der vom Wahlgesetz vorgesehenen Mindestgrenze hätte die CSU in Bonn weniger Posten gehabt, und immer besteht die Gefahr, daß sie nicht ins europäische Parlament kommt.