Die Bürger scheren sich nicht darum, sie johlen für den Fußball, leiden aber unter enormen Bäuchen, sie finden ihre Küche unvergleichlich und suchen (und finden) die Gerichte ihres Landes auf jedem Fleck des Erdballs. Sie halten sich für die besten Liebhaber der menschlichen Spezies, obwohl ihnen laut Umfrage das Auto wichtiger ist als die Gattin. Ihre Kirche ist die reichste der Welt (wie immer), aber sonntags sind die Bänke leer oder nur von weißhaarigen Frauen besetzt.
Die Polizisten werden gehaßt, die Staatsbeamten verachtet. Es ist schwierig, im Krankenhaus ein Bett zu bekommen, die Ärzte amputieren lieber, als teure Kuren zu verschreiben, und oft machen sie Fehler und zahlen nicht dafür, und an der Universität eine Stelle zu ergattern, ist fast unmöglich. Skrupellose Architekten zerstören die Altstädte, die Flüsse sind verseucht, so daß es an Selbstmord grenzt, darin zu baden. Die Wälder werden durch Industrieabgase zerstört, und die Meere ersticken an Algen.
Die Zahl der Einbrüche hat sich in den letzten Jahren verdreifacht, kriminelle Organisationen werden mächtiger, die Züge kommen immer seltener pünktlich, und ein Viertel der Flugzeuge landet zu spät. Die nationale Fluggesellschaft ist nah am Konkurs, kann aber teure, uberflüssige Angestellte nicht entlassen.
Die Leute jammern über die Post, die Banken, das Fernsehen und schätzen von allen Personen der Öffentlichkeit weitaus am meisten den Präsidenten der Republik, einen vornehmen älteren Herrn, dem man vertrauen kann.
Nun, wie heißt dieses Land? Nein, nicht Italien. Es ist das große Deutschland.
Alle diese Äußerungen stammen von den Deutschen selbst, und in gewisser Weise sind sie auch richtig, obwohl sie nicht unbedingt »wahr« sind. Hauptfehler der Deutschen ist, daß sie zu streng mit sich selbst sind. In ihren Augen wird das Land durch falsches Regieren, Korruption und einen immer schlechter funktionierenden öffentlichen Dienst heruntergewirtschaftet.
Für mich aber ist Deutschland trotz allem eine Oase der Ordnung und Effizienz und hat, Gott sei Dank, auch den einen oder anderen Makel. Deutschland ist kein vollkommenes Land, und deshalb kann man hier leben. Nur sind sich seine Bewohner dessen nicht bewußt, und wenn man es ihnen sagt, fühlen sich auf den Arm genommen. Wer mit ihnen zu tun hat, sollte deshalb daran denken, daß Kritik den »Eingeborenen« vorbehalten ist. Wenn sie das Gefühl haben, man teile ihre fürchterliche Meinung, die sie von sich selbst haben, werden sie unversehens reizbar und unzugänglich.
Die Deutschen sind unzufrieden, weil sie einen Hang zur Perfektion haben, aber sie finden die anderen immer noch schlimmer. Gleichzeitig erkennen sie durchaus an, daß ihre Nachbarn ihnen zumindest in mancher Hinsicht überlegen sind: Es heißt ja immer, wir Italiener seien Meister in der Kunst des Lebens, sie bewundern die selbstbeherrschten Briten, die fleißigen Japaner, die temperamentvollen Spanier und die reichen Amerikaner. Und sie versuchen es ihnen nachzutun, ohne neidisch zu sein. Ein nur scheinbarer Widerspruch.
Wie man merkt, decken sich die »Verdienste« der anderen gefährlich mit Gemeinplätzen und sind in den Augen der Deutschen an genauso viele unverzeihliche Fehler gebunden: die Oberflächlichkeit der Italiener, die Ignoranz der Yankees, die Kälte der Engländer. Im Grunde ihres Herzens schätzen die Deutschen unsere Tugenden und sind überzeugt, sie imitieren zu können, ohne unsere Sünden zu wiederholen. Es könnte ihnen sogar gelingen.
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