Faß ohne Boden
Sind die Deutschen große Sparer? In einem Jahr haben sie auf ihren Konten und Sparbüchern 230 Milliarden DM angehäuft, das ist mehr, als für den Wiederaufbau Ostdeutschlands ausgegeben wird.
Aber die deutschen Ameisen halten nicht den Weltrekord. Überraschenderweise haben wir, die italienischen Zikaden, mit 18, 9 Prozent den ersten Platz erobert, dann folgen die Japaner mit 16, 6 Prozent und die Franzosen mit 12, 7 Prozent. Die Deutschen bekommen mit ihren 12, 4 Prozent nicht einmal die Bronzemedaille, dabei ist das noch dreimal soviel wie die Sparquote eines Amerikaners (4,5 Prozent des Einkommens).
Mit solchen Zahlen muß man jedoch vorsichtig sein. Die Deutschen sparen absolut gesehen am meisten, und man muß hinzufügen, daß sich für sie das Sparen auch am meisten lohnt, selbst wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht. Die Aktivzinsen scheinen niedriger als bei uns, sie sind gut halb so hoch, aber auf Dauer gesehen halten die Ersparnisse in DM aufgrund der niedrigen Inflationsrate der Zeit besser stand. In Deutschland kann man systematisch auf den Kauf eines Hauses sparen, mit der berechtigten Hoffnung, das Ziel auch zu erreichen. Wie das bei uns geht, weiß man ja: Nach zehn Jahren kann man mit der ersparten Summe statt einer Zweizimmerwohnung noch ein Auto kaufen, ein Auto ohne jeden Luxus, und nach zwanzig Jahren kann man die Freunde noch zum Abendessen einladen. Mit den 9,5 Billionen DM, die die Deutschen auf die hohe Kante gelegt haben, könnten sie Deutschland dichtmachen und für fünf Jahre in Urlaub fahren, ohne fürchten zu müssen, daß ihre Mark zerbröckelt und von der Inflation verschlungen wird.
Aber so etwas fällt niemandem auch nur im Traum ein. Kaum nähert sich die Inflation der Schicksalsmarke von vier Prozent, setzen die Zeitschriften die Deutsche Mark auf die Titelseiten, verunstalten und durchlöchern sie oder lassen sie dahinschmelzen wie Wachs in der Sonne. Der Staat ist schuld, lautet das Urteil.
Die Kosten für den Wiederaufbau des Ostens, die sich ein oder zwei Jahrzehnte lang auf jährlich 230 Milliarden DM belaufen werden, reißen tiefe Löcher in den Staatshaushalt. Aber für öffentliche Versorgungsbetriebe, von den Zügen bis zu den Flugzeugen, wird auch zuviel ausgegeben, und Länder und Gemeinden haben die alte Tugend des Sparens verlernt. Finanzminister Theo Waigel hat mehr Schulden angehäuft als alle seine Vorgänger zusammengenommen, wofür er selbst oder die Geschichte verantwortlich ist; man bewegt sich auf ein »italienisches« Defizit von 2000 Milliarden Mark zu. das wäre eine Zwei mit dreizehn Nullen.
Aber prozentual zum Bruttosozialprodukt liegen wir bei fast 125 Prozent, und die Deutschen bei 59 Prozent. Zur Bekämpfung des Defizits erhöht man, wie in Italien, die Steuern, anstatt die Ausgaben zu senken, und fängt auch hier beim Benzin an. Vor zehn Jahren kostete ein Liter Super unter 70 Pfennig. Heute, nach Abwertungen unsererseits, Aufwertungen ihrerseits und Steuererhöhungen, kostet er mit über 1,70 DM ungefähr soviel wie bei uns. Auch sind Mautstellen an den Autobahnen im Gespräch, eine feste Gebühr wie die Schweizer Vignette (allerdings 300 DM im Jahr und 2000 DM für Lastwagen) oder ein kompliziertes elektronisches System, bei dem das Nummernschild »gelesen« wird, sobald man auf die Autobahn fährt: Deutschland ist dann eine Art Riesenflipper, und die Autos sind die Kugeln, die erwischt werden müssen. Wetten, daß es irgendeinem Computerfreak gelingen wird, das Fiskusauge des Großen Bruders lahmzulegen? Vielleicht sogar einem Deutschen, der in Neapel promoviert hat.
In seiner Verzweiflung greift der Finanzminister inzwischen zu extremen Mitteln – einst eine Spezialität seiner italienischen Kollegen -, wobei er auch nicht das Risiko scheut, Ostdeutschland postum anzuerkennen. Unmittelbar nach dem Fall der Mauer, aber noch vor der Vereinigung, strömten die Ostdeutschen in den Westen, um Autos zu kaufen, und vielen drehten die vom Glück begünstigten Kapitalisten »alte Mühlen« aus zweiter Hand an. Natürlich »vergaßen« sie, den üppigen Einfuhrzoll zu bezahlen, mit dem das kommunistische Regime seine Trabbis aus Pappe und Plastik schützte. Aber Waigel vergaß die Steuer nicht: Sie war vom Staat vorgesehen und gesetzlich beschlossen worden und folglich an den Erben der DDR, also Bonn, zu entrichten. Auf diese Weise hätten ein paar Milliarden DM eingenommen werden können, aber Waigel, Honeckers letzter Zöllner. mußte schweren Herzens darauf verzichten, zu scharf war der Protest.
Auch mit überflüssigen Bauwerken wird zuviel Geld vergeudet. Man rechnet, daß in den letzten zehn Jahren über 18 Milliarden DM dafür ausgegeben wurden. Das ist immer noch ein Drittel dessen, was nach dem Erdbeben in Irpinia »verschwunden« ist, und die Tatsa-Sind die Deutschen große Sparer? In einem Jahr haben sie auf ihren Konten und Sparbüchern 230 Milliarden DM angehäuft, das ist mehr, als für den Wiederaufbau Ostdeutschlands ausgegeben wird.
Kommentare